III. Die neue Heimat Aserbaidschan


Nach den Berichten des russischen Historikers N. I. Schawrow von 1911: „Wir begannen unsere Politik der Kolonisierung nicht mit der Ansiedlung von Russen in Transkaukasus, sondern mit der Ansiedlung von Ausländern. Vor allem siedelten wir im Jahre 1819 500 württembergische Familien um. Das waren solche, die in der Heimat keine Verwendung fanden. Aus ihnen bildeten wir Kolonien in den Gouvernements Tiflis und Jelisawetpol. Natürlich bekamen die Kolonisten das beste staatseigene Land und verschiedene Vergünstigungen“ (Schawrow N.I., „Eine neue Gefahr für die russische Sache in Transkaukasus. Der bevorstehende Verkauf von Mugani an fremdländische“ St. Petersburg, 1911, S.59.). Der Staat half den Deutschen bei der Ansiedlung im Transkaukasus, wofür Soldaten und die ortsansässige Bevölkerung zur Arbeit herangezogen wurden.

Die russische Verwaltung ging davon aus, dass das Heranziehen der einheimischen Bevölkerung beim Aufbau der Neusiedlungen zu Unzufriedenheit und Konflikten führen und Feindschaft und Zusammenstösse zwischen Ortsansässigen und Neubürgern nach sich ziehen würde. Doch ihre Erwartungen erfüllten sich nicht. Das Volk erwies sich als Klügerer als russische Generale. Es wehrte sich gegen die bewaffnete Aneignung seines Landes durch die russischen Kolonisatoren und verhielt sich loyal zu den deutschen Bauern, deren Schicksal dem ihrem so ähnlich war.

In die Ansiedlung der Deutschen in Trankaukasien investierte der Staat 697 428 Rubel (Chatschapuridze G.W. „Zur Geschichte Georgiens der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, S.139.). Zum teil bestand diese Summe aus fristlosen Darlehen. Diese erleichterten das Leben der Siedler nicht all zu sehr, denn mit dem Einzug der Kampf ums Überleben begann. Deutsche Siedler führten anfangs ein Hungerdasein – in ungewohnter Sommerhitze und im Winter in schlecht hergerichteten Erdhütten. Sie mussten sich gegen wilde Tiere schützen und fielen diesen bisweilen zum Opfer. Mit nackten Händen (für Gerätschaften reichte das angewiesene Darlehen nicht aus) säuberten sie die Erde, legten Gemüsegärten an und errichteten Häuser.

Die Menschen, die sich nach Heim und Arbeit sehnten, vollbrachten Wunder. 1819 gründeten die Württemberger Helenendorf (heute Khanlar) – die erste deutsche Kolonie in Aserbaidschan. 40 Kilometer von Helenendorf entfernt entstand fast zeitgleich Annenfeld (heute Schamkir), die zweite deutsche Kolonie im Gouvernement Jelisawetpol.

Bild rechts: Kirche in Helenendorf. Aufnahme Anfang 20. Jahrhunderts.

Im Laufe der Jahre haben sich die Kolonien vermehrt. Die 1897 durchgeführte Volkszählung ergab, dass im Gouvernement Baku 3430, im Gouvernement Jelisawetpol 3194 Bürger deutscher Nationalität lebten. Die Deutschen gehörten zu der Gruppe von Völkerschaften mit einem der größten Bevölkerungszuwachses. Die Geburtenrate überstieg die Sterberate um das Viereinhalbfache. Die deutschen Familien hatten gewöhnlich 5 bis 10 Kinder. Das auf Unterhalt einer Familie ausgelegte Land eines Kolonisten wurde meist dem jüngsten Sohn vererbt. Die älteren blieben ohne Land. Die Gründung einer jeden neuen Familie zog immer neue soziale Probleme nach sich und brachte immer mehr landarme und landlose Kolonisten hervor. Doch die herrschende Ordnung in der Kolonie war untrennbar an Gesetz- und Rechtsdisziplin geknüpft. Die Kolonisten achteten diese und hielten Sorge um jedes einzelne Mitglied der Gemeinde. Die wichtigsten Entscheidungen wurden oft kollektiv getroffen, wodurch deren Weisheit geprägt war.

Solchart war die Entscheidung der Helenendorfer, das in ihrem Besitz befindliche Grundstück in Sejfal, 25 Kilometer westlich von Helenendorf, kostenlos an landlosen Gemeindemitgliedern abzugeben. So entstand am Flüsschen Schamkirtschaj 1888 die neue deutsche Siedlung Georgsfeld (heute Tschinarly im Gebiet Schamkir). 1902 gründete Helenendorf die neue Kolonie Alexejewka (heute Gasan-Su), 1906 erwarben deutsche Ankömmlinge aus Georgien im Gebiet von Akstafa Ländereien für die Kolonie Grünfeld (heute Wurguna) und im Gebiet Schamkir Gründstücke für die Kolonie Eigenfeld (heute Irimaschly). Wiederum als Ableger von Helenendorf entstand 1912 am Flüsschen Akstafinka die Kolonie Traubenfeld (heute Taus), zwei Jahre später entstand hier die Siedlung Jelisawetinka (heute Akstafa). Diese Liste könnte so gut wie unendlich weitergeführt werden. Die Bezeichnungen von meisten deutschen Siedlungen standen im Zusammenhang mit den Namen von Mitgliedern des russischen Herrscherhauses Romanow.

 

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